Diese besonders geschulten Fähigkeiten kompensieren das Sehen für die Betroffenen weitgehend. Für Blinde wie für Sehende aber gilt: Mit höherem Alter wird es schwerer, neue Fähigkeiten zu entwickeln. Deshalb fällt es Menschen, die in höherem Alter erblinden, schwerer als Menschen, die schon seit Geburt oder Kindheit blind sind, Hören und Tasten als Hauptstützen für die tägliche Orientierung zu entwickeln.
Blinde nehmen mit ihrem ausgeprägteren Gehör und Tastgefühl ihre Umgebung anders wahr als Sehende. Die Unebenheiten eines Weges, über die der Sehende vielleicht zu stolpern droht, können dem Blinden wichtiger Anhaltspunkt zur Orientierung sein. Geräusche, die dem Sehenden als lästiger Lärm erscheinen, geben dem Blinden Hinweise darauf, wo er sich gerade befindet. Während der optische Eindruck in unserer visualisierten Welt bei Sehenden immer wieder Täuschungen und Enttäuschungen hinterlässt, hält die akustische Wahrnehmung nur selten Überraschungen bereit, wie viele Blinde berichten. Dass wir von der optischen, nicht aber von der akustischen Täuschung sprechen, mag ein Beleg dafür sein.
Trotz einer gelungenen und intensiven Aufgabenübernahme der funktionierenden Sinne bei Blinden bleiben Alltagshürden bestehen, zum Beispiel durch fehlende akustische Signale im Straßenverkehr und ungesicherte Baustellen oder Stufen. Häufig aber auch durch Mitmenschen, die zu wenig oder zu viel Aufmerksamkeit für den Blinden aufbringen. Blinde werden bei Mobilitätstrainings darauf geschult, bei aufkommenden Problemen nach Hilfe zu fragen. Selten muss man als Sehender einen Blinden ungefragt führen, anfassen oder ihm den Weg weisen. Ein bewusster Abstand zum Radius des Langstocks andererseits kann nur hilfreich sein.
Die substituierenden Fähigkeiten von Blinden sind häufig beeindruckend. Wenn wir nicht-sehenden Menschen helfen möchten, lohnt es sich, diese Fähigkeiten anzuerkennen und Hindernisse abzubauen.