Das Sehen entwickelt sich von Geburt an. Bei einem Neugeborenen schärft sich zunächst der Nahbereich von etwa 20 bis 30 Zentimeter. In den ersten Lebenswochen werden langsam Gesichter erkannt. Das Baby lernt das Erfühlte und Geschmeckte zu erkennen. Es beginnt Dinge zu fokussieren, die in Greifweite sind. Bis zum sechsten Lebensmonat kann das Geradestellen beider Augen auf ein Objekt noch schwierig sein und ein Auge kann bei Anstrengung oder Müdigkeit wegrutschen. Wenn sich das beidäugige Sehen entwickelt hat und das Greifen und Fixieren verbessert abläuft, sollten der Blick und die Stellung der Augen gerade bleiben. Auch Dinge in größerer Entfernung werden nun erkannt.
Mit vier Jahren sollte das Kind die volle Sehschärfe entwickelt haben.
Bis ins Teenageralter können wir das komplexe Zusammenspiel von Auge und Gehirn noch beeinflussen. In den ersten 17 Lebensjahren kann die gesunde Entwicklung durch viele Faktoren gestört werden, so dass sich die Fähigkeit guten Sehens niemals richtig ausbildet.
Weder Kleinkinder selbst noch ihre Eltern können das kindliche Sehvermögen sicher beurteilen. Die Eltern können ihre Kinder aber gut beobachten und dabei Auffälligkeiten wahrnehmen. Reagiert das Kind auf optische Reize oder bekannte Gesichter? Greift es daneben, reibt sich häufig die Augen oder kneift sie angestrengt zusammen? Bewegt es sich unsicher und zögerlich im Raum? Diese Informationen und die Untersuchung durch die Orthoptistin helfen uns, mögliche Fehlentwicklungen oder Sehfehler frühestmöglich zu diagnostizieren. Mithilfe verschiedener Untersuchungstechniken können wir selbst bei den kleinsten Patienten wichtige Befunde objektiv erheben.
Kleine Kinder und Säuglinge sollten umgehend zu einer augenärztlich-orthoptischen Untersuchung bei sichtbaren Auffälligkeiten der Augen, wie zum Beispiel Augenzittern, Hornhauttrübungen, weißlichen Pupillen, großen lichtscheuen Augen oder bei Lidveränderungen, hier besonders Hängelidern, welche die Pupille verdecken, oder bei auffälliger Tollpatschigkeit. Auch wenn ein Auge ständig von der Blickrichtung abweicht, sollten Sie keine Zeit verlieren, einen Augenarzt aufzusuchen.
Bei starker Weitsichtigkeit, hoher Hornhautverkrümmung, Schielen oder bekannter Schwachsichtigkeit eines Auges bei mindestens einem Elternteil oder nahen Verwandten sollten Kinder mit einem Jahr bei einem Augenarzt mit Sehschule untersucht werden. Bei angeborenen Augenerkrankungen wie einer Linsentrübung oder dem kindlichen Glaukom in der Familie sollten die Kinder sogar in den ersten Lebensmonaten untersucht werden.
Mittlerweile bieten die meisten Kinderärzte ein Augen-Screening an, bei dem die Symmetrie der Augenstellung, der Pupillen und der Brechkraft untersucht werden kann. Diese Screening-Untersuchungen sind sehr sinnvoll, ersetzen bei Auffälligkeiten aber nicht den Besuch beim Augenarzt.
Vor allem einseitige und geringfügige Abweichungen werden manchmal leider zu spät erkannt. Eine Untersuchung des Kindes beim Augenarzt kann frühzeitig Klarheit über die Erkennung und Behandlung von Augen- und Sehfehlern bringen und die Ausprägung von Sehschwächen bis ins Erwachsenenalter gegebenenfalls verhindern.
Bei starker Fehlsichtigkeit oder beim Schielen unterdrückt das Gehirn den Seheindruck einseitig mit der Konsequenz, dass die Sehleistung des schwächeren Auges immer weiter abnimmt. Wird dies frühzeitig entdeckt, kann das stärkere Auge zeitweise mit einem Augenpflaster abgedeckt werden, um das schwächere Auge zu trainieren (Amblyopiebehandlung). So können beide Augen eine gute Sehkraft entwickeln. Das Training sehschwacher Augen ist nach Abschluss der visuellen Entwicklung nicht mehr möglich.
Spätestens im Alter von drei Jahren sollten auch unverdächtige Kinder zur frühzeitigen Entdeckung eines kleinwinkligen Schielens oder von optischen Brechungsfehlern in der Sehschule vorgestellt werden.