Warum können Neugeborene nicht scharf sehen?
Weil sie nicht müssen! Kurz nach der Geburt sieht ein Säugling extrem schlecht – zumindest nach unserem Maßstab. Für Neugeborene ist die Sehleistung allerdings absolut ausreichend und angepasst, denn sie erkennen hell und dunkel und sehen Formen und Umrisse auf etwa 30 Zentimeter Entfernung, was in etwa dem Abstand zwischen Brust und Gesicht der Mutter entspricht. Neugeborene schielen häufig, da die Augenmuskulatur noch nicht ausreichend entwickelt ist, um beide Augen gleichzeitig auf einen Punkt zu fixieren. Dieses Phänomen ist normal und unbedenklich, sollte allerdings nach sechs bis acht Wochen verschwinden.
Innerhalb der ersten sechs Monate lernen die Augen, Objekte zu fixieren, Bewegungen zu folgen und eine Hand-Augen-Koordination einzusetzen, also zum Beispiel nach Gegenständen zu greifen. Bis zum Ende des ersten Lebensjahres entwickeln sich die Sehschärfe und das räumliche Sehen immer weiter.
Grundsätzlich sollte jedes Kind spätestens im Alter von dreieinhalb Jahren augenärztlich untersucht werden. Denn je früher ein Sehfehler erkannt wird, desto größer ist der therapeutische Erfolg. Wir raten: „Wenn der Verdacht besteht, dass mit den Augen irgendetwas nicht in Ordnung ist, oder gar deutliche Anzeichen wie Schielen oder Lichtscheu zu beobachten sind, sollte das Kind möglichst rasch augenärztlich untersucht werden – unabhängig vom Alter. Kommen in der Familie Augenerkrankungen vor, ist eine erste Untersuchung bereits im Alter von sechs bis neun Monaten sinnvoll.“
Schon bei Säuglingen kann mit der sogenannten Schattenprobe oder Skiaskopie rasch und schmerzfrei eine Fehlsichtigkeit festgestellt werden. Diese Methode setzt nur einfache optische Hilfsmittel voraus, dafür aber einen erfahrenen Untersucher. Denn es können nicht wie bei reiferen Personen Buchstaben oder Zahlen zur Prüfung der Sehschärfe gezeigt werden.
Die Visusprüfung, also die Feststellung der Sehschärfe, ist meist ab einem Alter von circa drei Jahren sinnvoll. Für dieses Alter werden in der Regel Symbole benutzt, deren Ausrichtung das Kind benennen muss. Die Bilder verkleinern sich im Laufe des Tests. Bei Kindern im Schulalter wird die Visusprüfung mit Zahlen oder Buchstabenreihen durchgeführt.
Bei der Augenhintergrunduntersuchung, der Ophthalmoskopie oder dem umgangssprachlichen Weittropfen, wird die Qualität von Netzhaut, Sehnerv und Pupillenöffnung betrachtet. Solange das eingetropfte Medikament zur Pupillenerweiterung wirkt, ist das Sehen unscharf und die Blendempfindlichkeit der Augen erhöht. Die meisten Kleinkinder kommen mit dieser Augenuntersuchung gut klar. Nach etwa 24 Stunden hat die Linse ihre volle Anspannfähigkeit zurückgewonnen.
Die Orthoptik, auch bekannt als Sehschule, ist die Lehre vom Gerade- bzw. Richtig-Sehen und bezeichnet ein Spezialgebiet vor allem in der augenärztlichen Kindersprechstunde. Weil eine unscharfe Abbildung im Auge die Entwicklung einer 100%igen Sehschärfe verhindert und so Defizite in der visuellen Wahrnehmung und feinmotorischen Entwicklung nach sich ziehen kann, ist eine entsprechende Untersuchung auf jeden Fall auch bei fehlenden Symptomen ratsam.
Bei Fehlsichtigkeit sollte so früh wie möglich eine Brille eingesetzt werden. Das hemmt nicht etwa – wie teils angenommen wird – die gesunde Entwicklung der Augen, sondern kann einer weiteren Verschlechterung der Sehkraft effektiv vorbeugen. Brillen werden auch von kleinen Kindern meist gut toleriert, da das bessere Sehen als positiv erlebt wird.
Die Sehkraftentwicklung und mögliche Augenerkrankungen bei Kindern sind vor allem deshalb mit besonderer Sorgfalt zu behandeln, weil sie die künftige Sehkraft und damit das weitere Leben des betroffenen Kindes nachhaltig beeinflussen können. Der Großteil aller Informationen und Eindrücke aus der Umwelt wird über die Augen aufgenommen. Schon deshalb sollte diesem Wahrnehmungsbereich besondere Aufmerksamkeit entgegengebracht werden.