Kunst & Kultur

Doktor Zufall – Sternstunden der Medizin

Der Physiker Wilhelm Conrad Röntgen experimentierte im Jahr 1895 an der Universität Würzburg  – so wie er es häufig tat. Er wollte den Transport elektrischer Ladungen in Gasen nachweisen. Bei einem seiner Versuche – er hatte in einer mit Edelgas gefüllten Röhre bei Unterdruck hohe Spannung erzeugt – leuchtete plötzlich ein Strahl auf. Dieser Effekt war bereits bekannt und auch schon anderen Wissenschaftlern aufgefallen. Allerdings bemerkte Röntgen noch etwas anderes: Die einige Meter entfernten Leuchtschirme flimmerten jedes Mal bei dem Experiment auf. Also umwickelte Röntgen die Leuchten mit schwarzem Papier. Doch selbst dann zeigte sich der Effekt. Er konnte den Lampenkörper durch das Papier hindurch sehen. Und nicht nur das: Röntgen stellte fest, dass die Strahlen sogar Körper durchleuchten konnten: Er hatte die – nach ihm benannten – Röntgenstrahlen entdeckt.

Die vielleicht bahnbrechendste Entdeckung in der Medizin ist die des Antibiotikums. 1928 untersuchte der schottische Bakteriologe Alexander Fleming Staphylokokken. Das sind Krankheitserreger, die zum Beispiel Lungenentzündungen hervorrufen. Eine von mehreren Proben war mit Pilzsporen verunreinigt. Als Fleming sie schon wegwerfen wollte, fiel ihm auf, dass überall dort, wo sich der Pilz ausgebreitet hatte, keine Bakterien zu finden waren. Er züchtete den Pilz in Kultur und fand heraus, dass dieser ein Gift produzierte, das eine Vielzahl von Krankheitserregern tötete: Streptokokken, Meningokokken und das Diphtheriebakterium. Fleming nannte die Substanz Penicillin, nach dem Pilz Penicillium notatum, von dem sie stammte.

Das Thema Impfung ist spätestens seit dem Jahr 2020 in aller Munde. Konzentriert, technikgestützt und zielgerichtet forschten Wissenschaftler, um in kurzer Zeit einen Impfstoff gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 zu entwickeln. Das war nicht immer so. Zum Beispiel bei der Entwicklung der Pockenschutzimpfung: Ende des 18. Jahrhunderts fiel dem britischen Arzt Edward Jenner auf, dass Melkerinnen zwar häufig an Kuhpocken erkrankten, jedoch nicht an den viel gefährlicheren Menschenpocken. Er vermutete einen Zusammenhang. Im Jahr 1796 infizierte Jenner einen achtjährigen Jungen mit dem Erreger der Kuhpocken, indem er seine Haut ritzte und die Wunde mit dem Sekret einer erkrankten Melkerin bestrich. Tatsächlich erkrankte der Junge an der harmlosen Infektion. Als er genesen war, folgte der riskantere Teil des Experiments: Jenner infizierte den Jungen auf die gleiche Weise mit Menschenpocken – ein heute undenkbarer Menschenversuch. Doch das Kind blieb verschont, sein Körper hatte offensichtlich eine Abwehr gegen das Virus aufgebaut. Die Pockenschutzimpfung war erfunden.

Häufig nehmen medizinische, pharmazeutische und psychologische Forschungen eine ganz andere Wendung als die in der Ausgangsthese erwartete. Dabei glaubte man lange, die Zeit der absichtslosen Entdeckungen sei vorbei.

Doch wirkliche Innovationen lassen sich offenbar nicht planen.