Durch wiederholtes „Üben“ verfestigen sich visuelle Muster so weit im Gedächtnis, dass sie unmittelbar und unbewusst wahrgenommen, erkannt und zugeordnet werden.
Was so selbstverständlich erscheint, ist das grundlegende Prinzip des visuellen Lernens.
Wir Menschen nehmen 80 Prozent aller Informationen visuell auf, obwohl unsere Augen nicht unser leistungstärkstes Sinnesorgan sind.
Dabei glaubt der Einzelne gerne, die Wahrnehmung ständig zu lenken, jedoch sind viele unbewusst ablaufende Vorselektionsprozesse aktiv. Während Erwachsene sich eher einen Überblick verschaffen und ganze Szenerien erkennen und in Bekanntes einordnen, achten Kinder auf jedes Detail. Denn erst die andauernde Lernerfahrung ermöglicht die Kategorisierung von neuen Wahrnehmungsreizen in bekannte Muster.
Ein praktisches Beispiel für diese Theorie ist ein lesendes Kind im zweiten oder dritten Schuljahr. Durch die bisherige Leseerfahrung werden Wörter nicht mehr – wie zu Beginn des Lesens – als einzelne Buchstaben zusammengesetzt, sondern es werden bereits erlernte Muster erkannt und als Gesamtbild aus dem Gedächtnis abgerufen. Da der visuelle Lernprozess aber noch nicht abgeschlossen ist und sich die Formen noch nicht ausreichend im Gedächtnis verfestigt haben, geht diese Zuordnung häufig noch schief. So wird aus „behandeln“ beim Überlesen zum Beispiel „behalten“. Solche Fehler passieren übrigens auch Erwachsenen – und werden dabei sogar seltener bewusst entdeckt. Denn je größer der Erfahrungsschatz ist, auf den man zurückgreifen kann, desto sicherer und selbstverständlicher wird kategorisiert.
Gelernter Schulstoff sollte aus diesem Grund auch von Zeit zu Zeit wiederholt oder weiterführend angewendet werden. Ansonsten gerät er ziemlich sicher in Vergessenheit.
Der elterliche Ratschlag „Schau es Dir doch noch einmal an“ ist hier tatsächlich Gold wert.
Aber auch soziale Prozesse werden über das Sehen erlernt und verstanden. Das Beobachten anderer, das Einschätzen und Imitieren von Mimik und das Üben des eigenen Verhaltens vor dem Spiegel sind wichtige Lehrstunden für Kinder.
Erscheint es Ihnen unverständlich, dass Ihr Kind den letzten Animationsfilm zum neunten Mal hintereinander anschauen möchte? Trösten Sie sich – es lernt! Es entdeckt bei jedem Mal Neues, studiert die Interaktionen, ist womöglich für eine Weile auch mal der böse Zauberer oder die verlogene Stiefschwester im Kindergarten. Getreu dem Motto „Man muss alles mal ausprobiert haben …“.